Ich verhehle nicht, dass ich die gemeine Obrigkeit – schon qua Definition – für die größte Datenkrake in unserer Privatsphäre halte. Aber die Wirtschaft, geld- und machtgeil wie nie zuvor, ist schon längst eine Bahn weiter beim Wettlauf um den Informationskuchen. Sie ist es, die die Produktion von Horchmodellen, Auswertungen und manipulativen sozialen Techniken schneller, zielgerichteter und mit größeren Budgets vorantreibt, als es jede öffentliche Institution könnte.
Eine interessante Zusammenfassung zum Thema mit dem Titel „Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag“ ist in einer aktuellen Studie aus Wien erschienen.
Projektleiter und Autor Wolfie Christl von Cracked Labs, Wien hat sich im Auftrag der Arbeiterkammer in Österreich mit „Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag“ befasst. Das Werk hat meine absolute Leseempfehlung für alle, die vorhandene Bauchgefühle und Ahnungen mit Wissen ergänzen möchten.
Die Studie kann nicht in jedes Detail der Methoden, der Technik, der resultierenden Manipulation sozialen Verhaltens in den Netzen, der perfiden Allgegenwärtigkeit kommerzieller Beschnüffelei eintauchen. Aber gerade das lässt den Autoren auch die Freiheit, eine hervorragende Momentaufnahme zu erstellen und einen Überblick zu geben, den jeder verstehen kann.
Ein paar leckere, aus dem Zusammenhang tranchierte, nichtsdestotrotz äußerst appetitanregende, frische Häppchen aus dieser Schmankerlstudie muss ich hier mal auftischen, sprich zitieren:
Fitness-Tracker
1) „Auch in Deutschland wurden Fitness-Tracker bereits in ganz spezifischen Situationen eingesetzt:
2013 hat das Jobcenter Brandenburg 15 langzeitarbeitslose Hartz-IV-EmpfängerInnen mit Schrittzählern ausgestattet, Ziel war das „spielerische“ Erreichen von 270.000 Schritten.“
2) „So waren beispielsweise 95% der 179 Studienteilnehmer davon überrascht, dass die Taschenlampen-App Brightest Flashlight auf Standort-Daten zugreift.“
3) „Manche rechnen damit, dass Versicherungen Fitness-Tracker in Zukunft durch Quersubventionsmodelle vermarkten könnten, bei dem die Geräte bei vertraglicher Bindung „kostenlos“ an die KonsumentInnen abgegeben werden „*
Fahrzeug-Telemetrie
4) „Fahrzeug-Telemetrie ist ein Wachstumsmarkt. Dabei wird eine Box in das Auto eingebaut, die rund um die Uhr das Fahrzeug überwacht – und Informationen zu Position, Uhrzeiten, Geschwindigkeiten oder zu Brems- und Beschleunigungswerten an verschiedene Dienstleister überträgt. … Aus den aufgezeichneten Rohdaten wird ein Risikoprofil errechnet, das sich aus einzelnen Score-Werten für Geschwindigkeit, Fahrweise, Nachtfahrten und Stadtfahrten zusammensetzt.“
Wearables
5) „Das Unternehmen Sensoria bietet Socken an, mit denen nicht nur Schrittzahl und Geschwindigkeit ausgewertet können, sondern auch, wie jemand beim Laufen auftritt und den Fuß abrollt. Die gemessenen Daten werden via Bluetooth an eine Smartphone-App übertragen. Außerdem werden T-Shirts und Büstenhalter angeboten, …“
Kreditscoring
6) „Einfache Negativlisten wurden inzwischen von komplexen Scoring-Modellen abgelöst, die viele Lebensumstände in die Berechnung der Kreditwürdigkeit einbeziehen. Die Berechnungsmethoden sind oft fehleranfällig und intransparent, die VerbraucherInnen schlecht informiert. Die dominanten Unternehmen und deren Tochterfirmen sind oft gleichzeitig in den Bereichen Direktmarketing, Daten- und Adresshandel aktiv.“
Soweit einige wenige anschauliche Beispiele aus den umfangreichen Belegen und Quellen in dieser Studie. Wer jetzt Appetit auf die gesamte Untersuchung bekommen hat, für den sind hier die Links zu den Downloads:
- Cracked Labs – Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag, Kurzfassung
- Cracked Labs – Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag, Inhaltsangabe, Downloads, Bildmaterial, Presseinfo
* Ich rechne nicht nur damit, ich gönne es mir, zu wissen, dass das genau so kommen wird. Signifikant viele Medien berichten bereits darüber und die Geräte und Wearables sind schon in der kaufkräftigen Consumerschicht angekommen. Zur Zeit loten die Datenverwerter noch die rechtlichen Rahmenbedingungen aus und warten einen höheren technischen Standardisierungsgrad ab.